Wieder und wieder, und immer wie zum ersten Mal

22.iv.23

Wir besuchen das Atelier, in dem einer der Großen des vorigen Jahrhunderts arbeitete. Die Räume sind so bewahrt worden, wie sie hinterlassen wurden, als der Künstler, der wollte, dass »Farbe sich wie Fleisch anfühlt«, verschied. Auf Tischen und Bänken liegen Haufen von Pinseln, unter ihnen Verwehungen aus steif gewordenen Lappen. Die Wände sind braungestrichen, in einem wässrigen Kaffee-Ton, den man aus mehreren Porträts kennt. Einige sind mit Farbe beschmiert – die Formen gleichen einer Kreuzung aus Palette und Laubwerk. Vermutlich studierte er das Licht, das auf Gesichter und Körper fiel, am besten aus diesen Winkeln in der Welt. In der einen Richtung: der kleine Garten; in der anderen: eine der Verkehrsadern, die durch Kensington führen. Mehr als ein Jahrzehnt ist vergangen, seit der Mann, der sich selbst als »eine Art Biologe« bezeichnete, starb. Fremde wie wir vermögen nicht festzustellen, ob sein Geist das Atelier heimsucht. Dennoch ist alles von Ruhe, Klarheit, Konzentration durchweht. Mit einem Wort: Geistesgegenwart.

Unser Gastgeber, der zwanzig Jahre Modell saß, erzählt, dass der Künstler die Angewohnheit hatte, bis zu vier Mal täglich in der Badewanne im Nebenzimmer zu liegen. In wenigen anderen Situationen ist ein Mensch sich seiner selbst und seines Körpers bewusster. Und in keinem seinem Urzustand so nah. Tevila x mehrere: Wie könnte man die Fleischwerdung der Farben besser beschwören, wieder und wieder, und immer wie zum ersten Mal?