Fuck, marry, kill
2.iv.23
Fuck?
Ich bin glücklich verheiratet mit der Inkarnation meiner geheimsten Träume, einschließlich der feuchten, so dass es eine Herausforderung ist, über späte Nachmittage oder frühe Nächte mit anderen Wesen zu fantasieren, selbst wenn diese aus Druckschwärze bestehen. Aber gut, dem Gedankenspiel zuliebe. In dem Fall sage ich Leni in Kafkas Der Prozess, dieses ausweichende, aber bezaubernde Hausmädchen mit Schwimmhaut zwischen dem rechten Mittel- und Ringfinger, was wohl bedeutet, dass sie nie einen Trauring überstreifen könnte … Zweifellos wäre es auch spannend, die schlagfertige Doris in Irmgard Keuns Das kunstseidene Mädchen zu treffen, diese Berlinerin aus den 1920er Jahren, die mit einem Mundwerk wie wenige diesen Traum hat: »Ich will so ein Glanz werden, der oben ist. Mit weißem Auto und Badewasser, das nach Parfüm riecht, und alles wie Paris«. Oder warum nicht ein ganzer griechischer Harem, wenn ich schon einmal dabei bin – sämtliche Musen sowie Arachne, Daphne und Medusa (bevor Athena, Apollon und Poseidon ihre Leben zerstörten), damit die heilige Zwölfzahl befolgt wird? Es wäre ein Abendmahl, das diesen Namen verdient hätte. Was pflegt der Pfarrer zu sagen, wenn die Gemeinde zur Verwandlung der Körper, will sagen dem Sakrament eingeladen werden soll? »Kommt, nun ist alles angerichtet!«
Marry?
Die Person muss ja ein Fels sein, einfühlsam, aber selbständig, voller Witz und Nachdenklichkeit. Es tut mir leid, es zu sagen, aber wenige fiktive Figuren genügen diesen Ansprüchen. Emma Bovary? Mit dem Herzen? Cathy Earnshaw? Mit den Nerven? Nein, danke. Ich stelle mir die Ehe als klügste Verschworenheit vor, in der man sowohl Partner als auch Komplize ist. Kurzum: eine heilige Art Geschwister. Wenn ich ein r aus der Frage streichen darf, kann die Antwort eigentlich nur lauten: Mary. Also die Hauptperson in meinem Roman mit diesem Titel. Weil das mit einer Figur, geboren aus der eigenen Stirn, etwas sehr nach Inzest aussähe, muss es jedoch Franny Glass in Salingers berühmter Erzählung sein – allerdings zwanzig, dreißig Jahre nach ihrem Zusammenbruch und den religiösen Grübeleien. Vielleicht heiratete sie den tristen Lane, waspy und bland und collegeintellektuell, aber inzwischen ist sie garantiert geschieden. Die Franny mittleren Alters würde mit Sicherheit die beste Kombination von Eigenschaften aufweisen, die ich mir bei einer Lebensgefährtin vorstellen kann: Diskretion und Chuzpe.
Kill?
Ist es gestattet, Serienmörder zu werden? Es gibt doch so viele Darlings, die es zu töten gilt. Pippi Langstrumpf! Singoalla! Das nervende Gretchen! Oder Ophelia, dieses anmutige Wesen, das immer tut, was Papa Polonius wünscht, und verrückt wird, als der dänische Prinz die ganze Umgebung mit seiner Ambivalenz verkühlt. Sie alle sind unveränderlich, ja, als Personen so statisch, dass es entschuldbar wäre zu glauben, dass ihre Seele in Zement gegossen wurde. Aber ich wähle André Bretons Nadja. Nicht die reale Gestalt, auf der sein Roman gleichen Namens basiert – sie war eine wenig erfolgreiche Schauspielerin, die sich über Wasser hielt, indem sie sich prostituierte. Der Zufall führte die beiden an einem Oktobernachmittag 1926 auf einer Straße in Paris zusammen, aber während Breton aus der Begegnung Kunst machte, landete Léona Delcourt in der Klapsmühle, wo sie blieb und zwei Jahrzehnte später starb, wahrscheinlich vor Hunger. Sondern die Inkarnation konvulsivischer Schönheit, die er in ihrer beklagenswerten Gestalt zu erkennen meinte. »Nadja« ist die Idealfigur des männlichen Blicks, zu gleichen Teilen fabriziert aus Fleisch und Projektion. Zwar sind solche Frauen der Ursprung mancher guter Literatur gewesen, aber wird es nicht Zeit, fiktive Figuren umzubringen, die in erster Linie existieren, damit das Erzähler-Ich zu Einsichten über sich selbst gelangt und sich als das Beste feiert, das seit der Erfindung der Pomade passiert ist? Aber ja, warum nicht auch Breton in den Rücken stechen, wenn wir einmal dabei sind.
(SVT Babel am 2. April 2023)