Solar plexus
(Solarplexus)

Information · Umschlag · Inhalt · Vorwort · Rezensionen · Links

Information

Betrachtungen über einen Autor und seinen Körper · Stockholm: Norstedts, 2025, 156 Seiten · Form: Atelier Sofia Sorteri, Berlin · ISBN: 978-91-1-313856-5 · Erscheint im Herbst 2025 in der deutschen Übersetzung von Paul Berf im Matthes & Seitz Verlag

Umschlag

In drei persönlichen Betrachtungen versucht Aris Fioretos zu verstehen, wie das starke Gefühl von Anwesenheit, das ein in Wasser getauchter Körper hervorruft, in Literatur umgesetzt wird. Er spricht über das Verlangen als Bedingung von Texten, untersucht den Hunger als fordernde Erfahrung und beschreibt Elektrizität – Zittern, Schaudern – als eine Möglichkeit, sowohl innerhalb als auch außerhalb seiner selbst zu sein.

Scharfsinnig und einfühlsam meditiert Fioretos über die anatomischen Geheimnisse der Literatur. Was macht einen Text dringlich, einfühlsam, präzise? Ist es als Schriftsteller möglich, das Universum zu belästigen, ohne sich mit den Göttern zu messen? Und wie kann man dafür sorgen, dass sich Worte wie Fleisch anfühlen?

Solarplexus ist eine ebenso lebendige wie originelle Verteidigungsrede für eine Literatur, die man wirklich fühlt.

»Mit größter Dankbarkeit dachte ich, dass es lebenswert ist, solange es Badewannen gibt. Ein Bad und eine Zigarette.«

*

Aris Fioretos ist Schriftsteller. Er lebt und arbeitet in Stockholm und Griechenland.

Inhalt

Vorwort 7

I. Verlangen  11

II. Hunger  53

III. Elektrizität  93

Coda  136

Bilder  150

Anmerkung  152

Vorwort

vor einiger Zeit besuchte ich das Atelier, in dem einer der Großen des vorigen Jahrhunderts gearbeitet hatte. Die Räume waren so bewahrt worden, wie sie hinterlassen wurden, als der Künstler, der wollte, dass »Farbe sich wie Fleisch« anfühlt, von uns ging. Auf Tischen und Bänken lagen haufenweise Pinsel, unter ihnen Verwehungen aus steif gewordenen Lappen. Die Wände waren in einem wässrigen-Kaffee-Ton gestrichen worden, den ich von mehreren Porträts her kannte, unter anderem einem berühmten von ihm selbst, einzig bekleidet mit Stiefeln ohne Schnürsenkel, mit erhobenem Spachtel in der einen Hand, Palette in der anderen und einem auffordernden Blick, der, dem Spiegel nach zu urteilen, den der Titel andeutete (»Painter Working, Reflection«), auf das eigene Geschlecht gerichtet war – als wäre Kunst ein Duell.

An einigen Stellen waren Namen und Telefonnummern auf den Wänden notiert worden. Mehrere waren zudem mit Farbe beschmiert, die Formen, die sich gebildet hatten, glichen einer Mischung aus Palette und Laubwerk. Offenbar hatte dort der Künstler gestanden; vermutlich ließ sich das Licht, das auf Gesichter und Schultern fiel, am besten aus diesen Winkeln auf der Welt studieren. In der einen Richtung: dichtbelaubte Bäume. In der anderen: eine der Verkehrsadern, die den Londoner Westen durchschneiden. 

Der Besuch fand mehr als ein Jahrzehnt nach dem Tod des Mannes statt, der sich als »eine Art Biologe« bezeichnete. Fremde wie ich vermochten nicht zu entscheiden, ob sein Geist noch das Atelier heimsuchte. Dennoch war alles auf diesen vierzig, fünfzig Quadratmetern zwischen Garten und Straße von Ruhe, Klarheit, Konzentration durchdrungen. Mit einem Wort: von Geistesgegenwart.

Als ich mich nach der Badewanne in einem angrenzenden Zimmer erkundigte, das am ehesten an eine Abstellkammer erinnerte, erzählte der Gastgeber, der zwanzig Jahre Modell gesessen hatte, der Künstler habe die Angewohnheit besessen, bis zu vier Mal täglich in ihr zu liegen. Vielleicht litt er an einem Waschzwang – ich weiß es nicht und fragte auch nicht danach. Aber in wenigen Situationen dürfte ein Mensch sich seiner selbst als Körper bewusster sein. Und in keiner seinem Urzustand so nah. Gab es bessere Voraussetzungen dafür, die Fleischwerdung der Farben zu beschwören, wieder und wieder, und immer wie zum ersten Mal?

nach dem Besuch ging mir die Abstellkammer nicht mehr aus dem Kopf. Solange ich zurückdenken kann, ist das Bad in der Wanne ein feierlicher Moment gewesen. Duschen ist für schnelles Waschen und instant Frische; auch wenn es nicht länger möglich ist, in einer Wanne zu baden, ohne sich für die Wasserverschwendung zu schämen, will die Person, die ausnahmsweise dennoch in einen Behälter aus Blech sinkt, dagegen die Zeit in die Länge ziehen und in sich selbst ruhen – gleichzeitig schwer von Leben und ein paar Kilo leichter, als die Waage anzeigen würde. Ich persönlich bevorzuge tiefe Wannen mit separaten Kränen für heißes und kaltes Wasser. Es ist ein genüssliches, leicht zeremonielles Gefühl, darauf zu warten, dass sich die Wasserströme vermischen und die richtige Temperatur bekommen. Es strahlt schon milde in der Gegend des Zwerchfells. Wenn die Hand zwischen die Wirbel hinabgeführt wird, flackern kalte Streifen in all dem Warmen, Weiten.

Gleich.

Jetzt. 

In jungen Jahren konnte ich, umgeben von Badeschaum, niemals die Kette in Ruhe lassen, die so flatternd an den Füßen glitzerte, verbunden mit einem Stopfen aus schwarzem Gummi. Klemmte ich die Kette zwischen den Zehen ein, ließ sich an ihr ziehen, vorsichtig, dennoch entschlossen, bis die Wanne plötzlich ein gieriges Gurgeln von sich gab – als würde sie, seltsam genug, soeben ertrinken. Noch heute kann ich mich diesem Spiel hingeben, aber Badewannen mit Stopfen sind seltener geworden. Meistens sitzt ein Ventil auf dem Boden, das mit Hilfe eines Reglers an der Kopfseite justiert wird. Die blechartigen Laute, die der Körper von sich gibt, wenn er sich bewegt, sind so amüsant wie eh und je, eine der stillen Vergnügungen beim Baden droht jedoch verloren zu gehen.

Erinnert die Kette nicht an eine Nabelschnur? Dann läge der Mittelpunkt der Wanne unterhalb der Hähne. Doch vielleicht täusche ich mich. Vergleiche können einem einfallen, die Gedanken aber auch in die Irre führen. Bildet die Wanne eher eine profane Version des Taufbeckens? Wenn der Badende aussteigt, geschieht es ja gewissermaßen als neuer Mensch. Unabhängig davon, ob das Loch mit einem Ventil versehen ist oder noch einen Stopfen hat, und unabhängig davon, ob ich mich damit amüsiere, am symbolischen Nabel des Daseins zu ruckeln, oder mich in ein weltliches Taufbecken begeben habe, fließen doch sowohl ich als auch die Zeit ein wenig aus. In dem emaillierten Möbel verdichtet sich der Körper zu seiner Essenz, ist aber auch in wohliger Auflösung begriffen. Ich frage mich, ob es nicht dieses Erlebnis ist, zugleich mehr und weniger als man selbst zu sein, was das Bad in der Wanne so … befriedigend macht. 

die folgenden Betrachtungen versuchen zu ergründen, wie die intensive, jedoch paradoxe Wahrnehmung von Gegenwart, die ein in Wasser gesenkter Körper hervorruft, in Literatur umgesetzt wird. Wie heißt es bei Paul Valéry in einem seiner Prosagedichte? »Der lebendige Körper unterscheidet sich kaum von dem gestaltlosen Körper, der ihn bei jeder Bewegung ersetzt.« Er hätte, glaube ich, ebenso gut darüber sprechen können, wie die Anatomie erscheint, wenn ein Schriftsteller vom privaten zum schreibenden Ich übergeht. Die Verwandlung wird besonders deutlich, wenn der Text nicht in der ersten, sondern dritten Person spricht, doch auch dann gibt es natürlich Wege, Gegenwart zu vermitteln, die den Menschen hinter dem Werk nicht ausschließen.

Das Selbstporträt des Mannes, dessen Badewanne mich zum Denken anregte, spiegelt »den Künstler bei der Arbeit«. Ich benutze weder Spachtel noch Ölfarben, stattdessen werde ich mit Hilfe von Texten von der Antike bis in unsere Zeit (sowie von gewissen eigenen Arbeiten und drei Kunstwerken) über den Körper eines Schriftstellers reflektieren. Die folgenden Überlegungen gelten dem Verlangen als Bedingung dafür, dass überhaupt etwas entsteht, dem Hunger als fordernde Erfahrung und der Elektrizität als Weg, sowohl in sich als auch außerhalb seiner selbst zu sein.

Kurzum: Was macht die Literatur urgent, subtle und concise (dringlich, empfindlich, konzis), um drei Adjektive zu benutzen, die ebenfalls auf den kaffeebraunen Wänden in Kensington geschrieben standen? Oder wenn es gestattet ist, den Wunsch Lucian Freuds umzuformulieren, dessen Atelier ich an jenem Nachmittag im April besucht hatte: Wie bekommt man Worte dazu, sich anzufühlen wie Fleisch?

Seiten 911.

Rezensionen

»[Es ist] versiert und zivilisiert, dennoch aber lebendig und einnehmend. [Fioretos] gelingt es, seine eigenen Bücher neu zu schreiben, ohne sofort in sich selbst versunken zu klingen, und er wirft auch einen Seitenhieb auf das Privileg des Lesers ein, ›hingerissen‹ zu werden – eine in der heutigen Zeit wichtige Klarstellung, die nahelegt, dass der Kritiker wie ein widerspenstiger Pathologe am (toten?) Text sein sollte. Entrückung als ästhetisches Kriterium für eine professionelle Lektüre – ich kann mir schlimmere Alternativen vorstellen.« – Bernur, howsoftthisprisonis.blogspot.com

»Aris Fioretos badet gern in der Badewanne. Sein neues Buch mit Betrachtungen, Solar plexus, beginnt und endet mit dem angenehmen Gefühl, das entsteht, wenn ein Mensch in das warme Wasser einer Badewanne eintaucht. Es ist natürlich eine Metapher. Mit seinem Text möchte Aris Fioretos herausfinden, wie das starke, aber paradoxe Gefühl von Anwesenheit, das ein in Wasser getauchter Körper hervorruft, in Literatur umsetzt werden kann. Eine Art Erkundung der geheimen Kraft der Literatur also. Wie kann sie berühren? Wie kann sie mit dem Leser verschmelzen? . . . Solar Plexus ist ein multidimensionales Buch mit vielen Eingängen, weit mehr als die, die hier beschrieben worden sind. [D]ies ist eine lohnende Lektüre, klar und nahezu volksbildend.« – Stefan Eklund, Svenska Dagbladet

»Unterhaltsam, lehrreich und sehr spannend über die Kraft der Literatur.« – »Kritikerlistan« (Die Kritikerliste), Barometern und weitere Zeitungen

» Solar plexus ist ein Buch, das mich herausgefordert und bereichert hat. Seine Sprache ist leicht zugänglich, obwohl die Bilder tiefgründig und einfühlsam sind. Der Wortkörper wird zu verschiedenen Schichten in einem Spinnennetz oder einem Netzwerk aus Fäden. Hier stehen nicht die Merkmale der Biografie mit dem Ich im Mittelpunkt, sondern eher fiktive Wege, die ein Ich spüren lassen. Es ist schön. Und alle Seitenwege, die das Anliegen stärken sollen, sind voller Bildung, in der das griechische Kulturerbe deutlich sichtbar ist. Es ist wie eine Kammermusik, in der die Worte mitschwingen, in der Literatur mit einem großen L als ein Körper in sich erscheint, indem sie eine innere und eine äußere Welt miteinander verbindet, ›man wird, was man isst‹ im Universum der Worte.« – Gunilla Lindblad, Dast Magazine

»[Dies ist] eine Fest des Wissens: eine Zentrifuge, in der Analysen und Erinnerungen, Eindrücke und Einfälle in großem Tempo umherwirbeln. . . . In Solar plexus geht Aris Fioretos beeindruckende Risiken ein und nutzt alles, was ihm zur Verfügung steht, um den Kern seines Métiers zu erreichen. Im tiefsten Sinne geht es in seinem Buch darum, wozu Kunst und Literatur fähig sind.« – Karin Nykvist, Dagens Nyheter

»Aris Fioretos ist subjektiv – das muss der Essayist sein. In seinem neuen Buch Solar plexus untersucht er den Körper und die Literatur. Aber woran man sich nach der Lektüre erinnert, sind Geist und Text. Oder vielleicht die Fähigkeit des Lesens, eine Welt zu erschaffen, die die Rahmen des Textes sprengt und Verbindungen schafft, von denen einer nicht wusste, dass sie existieren. Vereinfacht ausgedrückt: Fioretos Methode ist enzyklopädisch, seine Ordnung jedoch ist ein wunderschönes Chaos. . . . Für Leser*innen, die nachgeben und einfach mitmachen, erwartet große Freude.« – Jan-Ove Nyström, Upsala Nya Tidning

»Wenn es noch möglich ist, eher maskuline oder feminine Essayistik zu schreiben, dann gehört Aris Fioretos definitiv zur letzteren Kategorie. Seine Fürsorge für den Körper hat etwas Besonderes. Gleichzeitig so wild und hyperempfindlich. . . . Wie immer gelingt es Fioretos, Einfälle und Strenge kunstvoll in Einklang zu bringen. Hier gibt es keine Zufälle. Stattdessen baut er seine Argumentation methodisch auf und legt verschiedene Verbindungselemente klar offen. . . . Fioretos‘ Essays sind voller erotischer Sensationen. Die Teile der Weltliteratur, die ihm am nächsten stehen, darunter die Kunst und nicht zuletzt die Musik, scheinen mit seinem Körper verschmolzen zu sein. Er zittert, schaudert, zappelt, schnurrt. Dazwischen flammen biografische Details auf wie eine Kokainschnur. So werden die Welt und das Selbst durch dieses elysische Buch elektrisiert.« – Jesper Strömbäck Eklund, Expressen

»Fioretos, aufgewachsen in Lund, mit einem Vater aus Griechenland und einer Mutter aus Österreich, ist ein polyglotter und vielseitiger Dichter und Intellektueller, der bei den Göttern der Antike ebenso zu Hause ist wie in den deutschen Literaturschauplätzen. . . . In diesem Sommer hielt er die jährlichen renommierten Poetikvorlesungen an der Goethe-Universität Frankfurt. Es sind diese Überlegungen zu ›einem Schriftsteller und seinem Körper‹, die die Grundlage von Solar plexus bilden. Drei Essays sind zu einem Strang verwoben, dessen Bild das Nervenzellenbündel irgendwo zwischen Nabel und Brustwarze sein könnte, das dem Buch seinen Titel gab. . . . Im mittleren Essay, ›Hunger‹ betitelt, spricht Fioretos unerwartet darüber, wie er als junger Mann durch Selbsthungern mit der Krankheit lebte. Die Geschichte passt auf ein paar Seiten. Aber sie ist der produktive Schmerzpunkt der Essays und vielleicht all seines Schreibens. Ist es nicht widersprüchlich, dass ein programmatisch ich-scheuer Autor den Solarplexus so bloßstellt? Das könnte man meinen. Aber er tut es, um einen entscheidenden Gegenangriff zu eröffnen. Es gelingt ihm, zu Gunsten der Dichtung schwere Schläge auszuteilen, in der sich der Autor durch die Nervenfasern des Werks, durch den Schmerz und das Glück, die der Text sowohl in seinem Schöpfer als auch in seinen Lesern hervorruft, bemerkbar macht.« – Per Svensson, Sydsvenskan

»Eine Streitschrift für die Literatur von einem echten Intellektuellen, der den Solarplexus freilegt.« – »Tio böcker att ha koll på« (Zehn Bücher, die im Blick behalten werden sollten), Sydsvenskan und weitere Zeitungen

Gespräch mit Jessika Gedin über »Solar plexus«, SVT Babel, 3. Februar 2025 (auf Schwedisch)